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Österreichische Vereinigung für Supervision und Coaching

Rezensionen

WIR SIND TEAM. Ein neuer Blick auf Teamentwicklung

Niki Harramach, Michael Köttritsch, Nina Veličković; Springer Verlag GmbH, 2019; 137 Seiten; € 37,99

War es notwendig noch ein Buch zum Thema Team, Teamentwicklung zu schreiben? Die Schlagwörter „Team“ und „Teamentwicklung“ in die üblichen Suchprogramme eingegeben, führen zu neun beziehungsweise eine Million Treffer! Wurde nicht schon alles zu diesen Themen gesagt? Gibt es wirklich noch etwas Neues dazu?

Der gesellschaftlichen Tendenz der Individualisierung und der Vereinsamung des Menschen im Privaten wie Beruflichem steht nach wie vor das Team als die wichtigste und verbreiteste Arbeitsform entgegen. Interessanterweise gibt es keine allgemeingültige Definition von „Gruppen, Teams“. Die AutorInnen sprechen hier ausschließlich von Arbeitsteams und erheben auch keinen wissenschaftlichen Anspruch auf Klärung und Systematik. Ausgangspunkt ihrer Überlegungen und Schlussfolgerungen ist die Praxis. Eine Praxis, die in der Gruppendynamik und Systemtheorie ihre theoretische Verankerung findet. Die theoretischen Annahmen werden immer wieder mit der erlebten Wirklichkeit konfrontiert und konterkariert. Dabei wird nicht mit dem uneingeschränkten Applaus der LeserInnen kokettiert, im Gegenteil: die LeserInnen werden eingeladen, sich kritisch, auch ablehnend („die AutorInnen haben die kritisierten Aussagen und Modelle nicht verstanden!“), aber auch sich zustimmend oder sich unverständig dazu zu verhalten. Als erste Übung dazu werden Zitate von gebräuchlichen Aussagen und Behauptungen zu Team, Teamentwicklung, Gruppendynamik und Systemtheorie von A bis L angeboten. Zugleich dienen diese Aussagen und Behauptungen als inhaltlicher Leitfaden für das Buch.

Mit dieser Einleitung neugierig gestimmt, können sich die LeserInnen den Erfahrungen und Reflexionen der AutorInnen widmen. Zwischen den beiden Theoriegebäuden Gruppendynamik und Systemtheorie wird eine eigene „Philosophie“ entwickelt, die die Möglichkeiten wie Grenzen der jeweiligen Ansätze aufzeigt, ohne die Wichtigkeit eines evidenzbasierten Handelns in Frage zu stellen. Der Fokus ist immer die Realität vor Ort, in den Organisationen und nicht die im Labor hergestellte Simulation. Grundsätzliches wird hier wirklich zu Grundsätzlichem, für Praktiker wie theoretisch Interessierte nützlich aufbereitet, nachvollziehbar und für die eigene Positionierung hilfreich dargestellt. 
Mit dieser theoretisch/praktischen Grundlage ausgerüstet ist das „Kernstück“, das eigene „Vier-Phasen-Konzept“ die logische Anwendung der beschriebenen Philosophie in die Praxis. Vier Phasen Modelle für >Gruppen und Teams gibt es viele. Das hier vorgestellte ist ein pragmatisches, ohne dabei undifferenziert zu werden. Eine wichtige Ergänzung ist der Exkurs zu Raoul Schindler’s Rangdynamik – die Begriffe Alpha und Omega in Gruppen sind ja (leider undifferenziert und oft missverständlich verwendet) in der „Küchenpsychologie“ und „Küchengruppendynamik“ allgemein geworden. Dieser Exkurs hätte eine stärkere Vertiefung bezüglich der Omega-Position benötigt. Eine Stärke des hier präsentierten Modells ist der Hinweis auf Notwendigkeit, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren – „Das Stück“ genannt. Was damit gemeint ist, wird anhand der Anekdote des Schauspielers Raoul Aslan erklärt: Aslan reagierte bei einem Hänger auf die Zuflüsterung der Souffleuse mit „Keine Details! Welches Stück?“. Zu wissen, welche(s) „Stück(e)“ im Team gespielt wird/werden, welcher „Logik“ man folgt, ist für jedes Team von ausschlaggebender Bedeutung. Mit Tipps für TeamentwicklerInnen und Spezialtipps für Führungskräfte endet das Werk.

War ein weiteres Buch zum Thema Teamentwicklung notwendig? Die Frage lässt sich nach der Lektüre einfach beantworten: dieses schon! Es gelingt hier wirklich einen neuen, etwas anderen Blick auf Teamentwicklung zu werfen. Die getroffenen Aussagen und Annahmen werden durch Fallvignetten aus dem scheinbar unerschöpflichen Reservoir der Praxen der AutorInnen gestützt und dadurch nachvollziehbar, was aber noch bedeutender ist, in die Praxis der LeserInnen integrierbar! Wer auch bloß wissen möchte, was Teams antreibt, was Teams wie beschäftigt, wie Teams „funktionieren“ findet hier Spannendes, wer aber mit Teams – sei es als BeraterIn/TrainerIn/SupervisorIn oder als Führungskraft – arbeitet findet dazu noch für die eigene Praxis Inspirierendes!

Wolfgang Knopf (News 1/2019)