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Home Office – Herausforderungen für Arbeitnehmer*innen und Führungskräfte, Patricia Tonin

Home Office war schon vor Corona auf dem Vormarsch. Laut einer 2019 von Deloitte e.a.* durchgeführten Befragung ...

Home Office war schon vor Corona auf dem Vormarsch. Laut einer 2019 von Deloitte e.a.* durchgeführten Befragung gaben 97% der österreichischen Unternehmen an, das Arbeiten von zuhause zu ermöglichen. Gleichzeitig spielt jedoch in 85% der Unternehmen physische Anwesenheit nach wie vor eine dominierende Rolle. So war bei 38% der befragten Unternehmen Home Office ausschließlich wenigen Einzelpersonen vorbehalten.

Doch wie sieht es nun nach dem durch Corona vielfach erzwungenen Home Office und der allmählichen Rückkehr ins Büro aus? Was beschäftigt Arbeitnehmer*innen und speziell die Führungskräfte?

Herausforderungen aus der Perspektive aller Arbeitnehmer*innen:

  1. Viele Arbeitnehmer*innen glauben, dass sie ihre Leistungsfähigkeit im Home Office ständig unter Beweis stellen müssen. Das erzeugt den Drang, ganz viel von sich herzeigen zu müssen und kann in Hyperaktivität und blinden Aktionismus münden. Dass es in jeder Arbeit auch Leerläufe gibt, wird sich (und anderen) im Home Office erst recht nicht zugestanden. Das führt zu Stress und Gefühlen von Sinnlosigkeit. Dadurch verschwimmen leicht die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit. Der Satz „Meine Arbeitszeit ist vorbei, ich gehe heim!“ gilt nicht mehr.
  2. Nicht jedes Heim eignet sich zum Home Office: Vielen fehlt ein getrennter Arbeitsbereich, so dass Kinder oder Partner leicht zum Störfaktor und die Arbeit zum Balanceakt werden kann. Außerdem braucht man im Home Office sichere Netzwerke, stabiles Internet und die richtigen Arbeitsmittel. Das verursacht zusätzliche Kosten, die meist die Arbeitnehmer*innen tragen müssen.
  3. Wer allein im Homeoffice arbeitet, fühlt sich oft vom Informationsfluss im Unternehmen abgeschnitten. Umso wichtiger ist es, soziale Kontakte über digitale Medien zu pflegen.
  4. Die Menschen haben die Krise und die Zeit im Home Office sehr unterschiedlich erlebt. Für die einen ist es ein Zugewinn an Freiheit und Autonomie – ein Privileg. Andere erleben Home Office als pure Zumutung und Stress – besonders wenn die häusliche Situation ein ungestörtes, reibungsloses mobiles Arbeiten schwer zulässt. Da kann es zu Gefühlen von Einsamkeit, Ohnmacht, Scham oder Sinnverlust kommen.
  5. Die Unterschiede drücken sich auch in der Rückkehr zum Normalbetrieb aus. Den einen kann es nicht schnell genug gehen, während die anderen noch große Vorbehalte haben. Diese Unterschiede können spalten und zu Konflikten führen.

Herausforderungen aus der Perspektive der Führungskräfte:

  1. Führungskräfte, die Leistungsfähigkeit mit physischer Anwesenheit gleichsetzen, tun sich naturgemäß mit dem Home Office schwer. Um ihren Kontrollverlust zu kompensieren aufoktroyieren sie ihren Mitarbeiter*innen eine minutiöse Zeiterfassung, machen Kontrollanrufe etc. Damit lösen sie Frust, Ärger oder Widerstand aus.
  2. Die Erwartung von Unternehmen, ihr Führungspersonal auch in dessen Freizeit zu erreichen, ist hoch. Dieser Druck wird von den Führungskräften an ihre Mitarbeiter*innen im Home Office weitergegeben. Die Grenzen zwischen Privatsphäre und Beruf verschwimmen noch mehr. Das erzeugt Stress und Frustration.

Strategische Stoßrichtungen für Führungskräfte:

In der Beratung, in Coaching oder Supervision wie auch in Selbstreflexion, können für Führungskräfte folgende Stoßrichtungen zu den oben genannten Hypothesen entwickelt werden:

  1. Krisen bieten die Chance, hinderliche Verhaltensmuster und Glaubenssätze zu hinterfragen. Zum Beispiel die Skepsis, dass Mitarbeiter*innen ihre Arbeit auch dann gut erledigen, wenn man ihnen dabei nicht zuschauen kann. Es geht darum, sich auf die zentralen Aspekte von Führung zu konzentrieren – nämlich auf die Kommunikations- und Beziehungsarbeit mit den Mitarbeiter*innen. Dazu braucht es klare und transparente Arbeitsaufträge und Vereinbarungen. So schafft man Orientierung und eine Vertrauensbasis.
  2. Sich als Führungskraft bewusst Zeit nehmen für den Austausch mit den Mitarbeiter*innen. Das heißt empathisch zuhören und nicht bewerten. Alle Beiträge würdigen und den Emotionen Raum geben. Dabei aushalten, wenn gejammert wird, aber dann auch bewusst den Fokus auf das Positive hinlenken, auf das Gelingende und auf mögliche Chancen, die sich aus der Situation ergeben. Das bildet Vertrauen und energetisiert die Beteiligten.
  3. Sich als Führungskraft für die Entwicklung eines zuverlässigen Leitfadens oder einer Betriebsrichtlinie zu Home Office einsetzen unter Partizipation aller Schlüsselpersonen. Es geht darum, die Chancen und Risiken für die Organisation und die betroffenen Personen zu betrachten und alle Aspekte von Security bis Arbeitsschutz zu integrieren. Wichtig ist es, Home Office an definierte Tätigkeitsfelder zu knüpfen und nicht an Personen festzumachen. Das schafft eine transparente und faire Arbeitsgrundlage.
  4. Zur Führungsaufgabe gehört es, die eigene Rolle und das eigene Verhalten einer laufenden Reflexion zu unterziehen und systematisch vorzugehen: aufmerksam sich selbst und sein Umfeld beobachten, Hypothesen ableiten und Schlüsse ziehen sowie passende Interventionen setzen. Dann wieder von vorne. Dabei sind folgende Herangehensweisen und Einstellungen hilfreich:
    • den Blick auf das Machbare lenken, statt sich auf unerreichbare Sehnsuchtsziele zu konzentrieren
    • den Fokus auf die eigenen und auf die Team-Kompetenzen und -potenziale richten
    • schwierige Emotionen akzeptieren und bearbeiten
    • Ängste und Sorgen der Mitarbeiter*innen ernst nehmen und auffangen
    • Ziele nicht aus den Augen verlieren
    • eine konstruktive und offene Fehlerkultur fördern
    • sich vom Ideal verabschieden, als Führungskraft alles unter Kontrolle haben zu müssen und Entscheidungen heldenhaft zu treffen, stattdessen lieber Verbündete suchen und Kooperationen bilden.