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Österreichische Vereinigung für Supervision und Coaching

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Mit dem Dritten sieht man besser

Stefan Busse und Erhard Tietel: Mit dem Dritten sieht man besser: Triaden und Triangulierung in der Beratung (Beraten in der Arbeitswelt). Vandenhoeck & Ruprecht, 2018 80 Seiten, € 11,99

Es geht zum einen um die sorgfältige Auftragsklärung und Gestaltung von Beratungsleistungen in drei- oder mehrfachen Kontraktbeziehungen in Organisationen. Zum anderen geht es um eine schulenübergreifende, nachvollziehbare theoretische Verortung dieser Prozesse.

Beides haben Stefan Busse und Erhard Tietel in diesem kompakten, klar und übersichtlich geschriebenen Buch unternommen. Das Konzept der Triangulierung stammt aus der Psychoanalyse, aus dem ödipalen Dreieck von Mutter-Vater-Kind. Hier werden die grundlegenden Erfahrungen von Koalitionen, Dazugehören, Ausgeschlossensein, Grenzziehung und Eifersucht gemacht. Hier entsteht die Fähigkeit, mehrfache Beziehungen gleichzeitig zu „halten“, in Anerkennung von deren Unterschiedlichkeit.

Für Busse und Tietel ist der symbolische Schritt aus dem Entweder-oder ins Sowohlals-auch eine unabdingbare Voraussetzung für Reflexivität und multiperspektivische Herangehensweisen. „Reflexivität entspringt damit genetisch nicht allein aus der dialogischen Struktur mit dem anderen respektive aus der dialogischen Spiegelung des anderen im eigenen Ego, sondern ebenso aus der Einnahme einer dritten Position im Blick auf mich und den anderen.“ (S. 27) Das heißt, Triangulierung als symbolischer Schritt aus dem Entweder-oder ins Sowohlals-auch wird zum methodischen Hebel, um aus der Komplexität von Alltagsbeziehungen jene Konstellation herauszuarbeiten, an der Problemlösung ansetzen kann. Methodisch begrenzt triadisches Denken „die Komplexität: wenn man eine mehrdimensionale und komplexe Dynamik... auf eine zentrale Dreiecksstruktur, bzw. Auf eine Reihe relevanter Dreiecke reduziert, wird diese überschaubarer und angemessener analysierbar.“ (S. 15)

Im organisationalen Basisdreieck konstellieren sich Arbeitsbeziehungen stets in Bezug auf eine „Primäraufgabe“, die über die interaktiven Beziehungen der Akteure nicht nur hinausgeht, sondern diese Beziehungen in hohem Maß herstellen und reproduzieren. Das Dritte/Die Primäraufgabe wird definiert als die von allen Referenzpunkten aus gesehen verbindende Aufgabe. 

„‚Das Dritte’ bezeichnet somit etwas, das in Bezug auf die aktuellen Interaktionen zwischen den handelnden Akteuren bereits vorab existiert, in ihren Handlungen aber auch reproduziert und modifiziert wird.“ (S. 31) Busse und Tietel widmen sich im Weiteren drei „Ebenen triadischer Realität“, nämlich den „Lebensweltlichen Triaden“, den „Arbeitsweltlichen Triaden“ und den „Beraterischen Triaden“.

Anhand eines Fallbeispiels aus der Familienhilfe werden die drei Triaden aufgefächert, wobei klar wird, dass die Beschäftigung mit den „Lebensweltlichen Triaden“ in Supervisionen im Feld der Sozialen Arbeit in der Regel weit eher konstitutiv für die Fallbearbeitung werden als in anderen Bereichen. Zugleich wird durch das Beispiel der Perspektivenwechsel zur „Arbeitsweltlichen Triade“ deutlich: Familie Müller wird von einem Familiensystem in seiner Lebenswelt zum Gegenstand der Arbeit der Familienhelferin. Die ihrerseits die Legitimation für ihr Eingreifen ins Familiensystem einerseits aus der Zuweisung durch ihre Vorgesetzte, andererseits aus dem Auftrag der Organisation bezieht.

Busse und Tietel nennen diese Konstellation die „organisationale Basispyramide“ von Leitung -MitarbeiterIn – KundInnen mit dem übergeordneten Dritten der Primäraufgabe. Triangulierung kann in diesem Verständnis auch gesehen werden als ein Ausbalancieren der – oft höchst unterschiedlichen – Ziele/ Aufgaben, die sich an den unterschiedlichen Positionen der organisationalen Basispyramide aktualisieren. Die gemeinsame Leistung, hier Viabilität der unterschiedlichen, oft konkurrierenden Ziele zu erreichen, bedarf wiederum eines Bezugspunktes – des „Dritten“. Und wiederum konstituiert sich die „Beraterische Triade“ über ein eigenes Drittes, den Kontrakt, der sich mit drei oder mehr Akteuren relationiert. Im Kontrakt aktualisiert sich das professionelle Mandat, er ist nicht einfach nur Voraussetzung der Beratung, sondern seinerseits bereits Ergebnis eines beraterischen Aushandlungsprozesses.

Triadisches Arbeiten in der Supervision heißt in dieser Perspektive, die unterschiedlichen triadischen Realitäten zu thematisieren, ohne die Versprachlichung mit deren Realisierung zu verwechseln. Diese Thematisierung entwickelt das Dritte in der Supervision. Triadische Verleugnungen, Verletzungen und Verwerfungen werden erkennbar und bearbeitbar. Das letzte Kapitel widmet sich den „inneren Dreiecken“, der triangulären Kompetenz der SupervisorInnen. Zusammengefasst ist Supervision mit dem triangulierenden Blick definiert als „die Bearbeitung von lebensweltlichen, arbeitsweltlichen und beraterischen Triaden, wie und soweit sie in Fallstrukturen rekonstruierbar sind – also eine Triangulierung höherer Ordnung.“ (S. 87f)

Das Konzept der Triangulierung erweist sich als hochkomplexes Konstrukt, das keinesfalls auf einen Fokus reduziert werden sollte, der überall nur Triaden ausmacht – ohne sich dieser Komplexitätsreduktion als bewusste Perspektive, die nach der erkenntnisgenerierenden Funktion der Konstruktion von Triangulierung sucht, bewusst zu sein. Ob und wie das „Trianguläre“, wie im Epilog kurz angerissen, tatsächlich „gesellschaftlichem und sozialem Handeln als ein Telos immanent bzw. als eine oft stumme, aber umso wirkmächtigere Normativität eingelassen ist“ (S. 101), wäre ein spannender weiterführender Diskurs. Bis dahin sei Busse und Tietel gedankt für diese sowohl kompakte wie hochdifferenzierte Darstellung dieses in der Supervision zu zentralen Konzeptes. Ich kann das Buch allen professionellen SupervisorInnen nur wärmstens empfehlen.

Michaela Judy (News 2-3/2018)